Modernisierung von Abstammungs- und Kindschaftsrecht noch in 2024 geplant

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hat Mitte Januar 2024 zwei Eckpunktepapiere zur Modernisierung des Familienrechts veröffentlicht: ein Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts mit Vorschlägen für neue Regeln im Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht sowie ein Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts.

Insbesondere Kinder in Trennungsfamilien, Patchwork- und Regenbogenfamilien sowie nichtehelichen Lebensgemeinschaften sollen von den vorgeschlagenen Neuregelungen profitieren. Auf der Homepage des Bundesjustizministerium finden sich dazu folgenden Angaben, die ich als Fachanwältin gerne zur weiteren Lektüre empfehle:

I. Das Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts

Das Abstammungsrecht bestimmt, wer die rechtlichen Eltern eines Kindes sind. Es soll in verschiedener Hinsicht fortentwickelt werden. Bewährte Grundsätze des geltenden Rechts bleiben dabei erhalten. So soll ein Kind auch künftig nicht mehr als zwei rechtliche Eltern haben können (Zwei-Eltern-Prinzip). Auch wird die Frau, die das Kind geboren hat, auch künftig stets rechtliche Mutter des Kindes sein. Ferner bleibt es dabei, dass rechtlicher Vater auch künftig ist, wer bei Geburt mit der Mutter verheiratet ist, wer die Vaterschaft anerkennt oder wessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist.
Vorgesehen sind insbesondere folgende Neuerungen:

  • Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren und verschiedengeschlechtlichen Paaren: Wenn ein Kind in eine Partnerschaft von zwei Frauen geboren wird, soll die Partnerin der Frau, die das Kind geboren hat, künftig ebenfalls ohne Adoptionsverfahren Mutter des Kindes werden können. Für sie soll insoweit das Gleiche gelten wie bei verschiedengeschlechtlichen Paaren für den männlichen Partner der Frau, die das Kind geboren hat. Sind beide Frauen verheiratet, soll die Ehefrau der Frau, die das Kind geboren hat, im Zeitpunkt der Geburt kraft Gesetzes ebenfalls Mutter des Kindes werden. Außerdem soll es möglich sein, durch Anerkennung der Mutterschaft rechtliche Mutter zu werden – so wie auch ein Mann die Vaterschaft für ein Kind anerkennen kann.
  • Mehr Rechtssicherheit für Samenspenden durch Elternschaftsvereinbarungen: Vor Zeugung eines Kindes soll vereinbart werden können, wer neben der Frau, die das Kind geboren hat, Vater oder Mutter des Kindes werden soll. Dadurch soll insbesondere bei privaten Samenspenden (sog. Becherspenden) frühzeitig eine rechtssichere Eltern-Kind-Zuordnung ermöglicht werden.
  • Stärkung der Rechtsposition des leiblichen Vaters: Ein leiblicher Vater, der als rechtlicher Vater Verantwortung für sein Kind übernehmen will, soll durch folgende Änderungen in seiner Rechtsposition gestärkt werden.
    Sperrwirkung eines anhängigen Feststellungsverfahrens: Solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, soll grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können.
    Kein kategorischer Ausschluss der Anfechtung bei sozial-familiärer Beziehung: Wer glaubt, leiblicher Vater zu sein, soll die Vaterschaft eines anderen Mannes künftig auch dann anfechten können, wenn eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu dem anderen Mann besteht. Eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater soll die Anfechtung der Vaterschaft insoweit nicht mehr kategorisch ausschließen. Vielmehr soll das Gericht in einem solchen Fall künftig im Einzelfall prüfen, ob das Interesse an der Anfechtung der Vaterschaft das Interesse an dem Fortbestand der bisherigen Zuordnung überwiegt. Vorrang soll im Zweifel das Interesse am Erhalt der gelebten Familie haben.
    Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmung auch des Ehegatten der Mutter: Erwartet eine verheiratete Frau ein Kind von einem anderen Mann als ihrem Ehemann (z.B. von ihrem neuen Lebensgefährten), soll der andere Mann künftig einfacher rechtlicher Vater werden können, wenn die Mutter und ihr Ehemann einverstanden sind. Der leibliche Vater soll die Vaterschaft künftig bis spätestens acht Wochen nach der Geburt des Kindes anerkennen können, ohne dass ein Anfechtungsverfahren durchzuführen ist. Einer Scheidung der Ehe soll es dazu nicht mehr zwingend bedürfen.
  • Stärkung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung: Kinder sollen es künftig einfacher haben, ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu verwirklichen. Dafür sind folgende Änderungen vorgesehen.
    Statusunabhängiges Feststellungsverfahren: Künftig soll es möglich sein, durch gerichtlichen Beschluss feststellen zu lassen, ob eine Person leiblicher Vater eines Kindes ist – ohne dass sich zugleich die rechtliche Elternschaft ändert; das Verfahren wird gleichrangig neben den Statusverfahren (Anfechtung bzw. Feststellung der rechtlichen Vaterschaft) zugänglich sein. Ein Kind kann so feststellen lassen, wer sein leiblicher Vater ist, ohne dazu die rechtliche Bindung zu seinem rechtlichen Vater kappen zu müssen.
  • Ausbau des Samenspenderregisters zu einem allgemeinen Spenderregister: Neben offiziellen Samenspenden (also Samenspenden aus einer Samenbank) sollen dort auch private Samenspenden und Embryonenspenden erfasst werden können.

Das Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts ist hier abrufbar. Eine Kurzfassung ist hier abrufbar. Häufig gestellte Fragen zu dem Papier werden hier beantwortet.

II. Das Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts

Das Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts enthält Vorschläge zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts sowie des Adoptionsrechts. In nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Trennungs-, Patchwork- und Regenbogenfamilien soll es einfacher werden, Kinder partnerschaftlich zu betreuen. Eltern sollen einfacher Vereinbarungen über Sorge und Umgang schließen können und Dritten sorgerechtliche Befugnisse oder Umgangsrechte einräumen können. Kinder sollen in ihrer Rechtsposition gestärkt werden. Der Schutz vor häuslicher Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren soll verbesset werden. Außerdem soll das Adoptionsrecht liberalisiert werden.

Konkret vorgeschlagen werden insbesondere folgende Neuerungen:

  • Wechselmodell: Das Wechselmodell, das viele Eltern nach einer Trennung schon jetzt leben, soll erstmalig gesetzlich geregelt werden: Es soll klargestellt werden, dass das Familiengericht in einem Umgangsverfahren (nach Trennung) eine Betreuung durch beide Elternteile, ggf. auch eine paritätische Betreuung anordnen kann – wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.
  • Sorgerecht in nichtehelichen Lebensgemeinschaften: Ein Vater, der mit der Mutter zusammenwohnt, aber nicht verheiratet ist, soll künftig einfacher das Sorgerecht erlangen können. Wenn die Mutter nicht widerspricht, soll eine einseitige, beurkundete Erklärung ausreichen.
  • Vereinbarungen zwischen Eltern über das Sorgerecht: Eltern sollen mehr Autonomie in Bezug auf ihr Sorgerecht erhalten: Sie sollen die Alleinsorge eines Elternteils vereinbaren können; auch eine Übertragung der elterlichen Sorge von einem Elternteil auf den anderen soll leichter möglich sein.
  • „Kleines Sorgerecht“: Die Sorgeberechtigten (im Regelfall also die Eltern) sollen künftig durch Vereinbarung bis zu zwei weiteren Personen – zum Beispiel ihren jeweils neuen Partnern – sorgerechtliche Befugnisse einräumen können.
  • Vereinbarungen über das Umgangsrecht mit Dritten: Mit Dritten sollen die sorgeberechtigten Eltern künftig auch Vereinbarungen über den Umgang mit dem Kind schließen können.
  • Recht von Kindern auf Umgang: Kinder sollen ein Recht auf Umgang mit Großeltern und Geschwistern, mit anderen Bezugspersonen sowie mit leiblichen, nicht rechtlichen Elternteilen erhalten.
  • Mitentscheidungsbefugnis von Kindern: Kinder sollen ab dem Alter von 14 Jahren im Sorge- und Umgangsrecht künftig ausdrückliche Mitentscheidungsbefugnisse haben. So sollen sie z.B. eine erneute Entscheidung über eine bereits getroffene Umgangsregelung beantragen können.
  • Schutz vor häuslicher Gewalt: Der Schutz vor häuslicher Gewalt im Sorge- und Umgangsrecht soll durch folgende Anpassungen des Gesetzes verbessert werden:
    Ermittlungspflicht: Es soll klargestellt werden, dass das Familiengericht in Umgangsverfahren Anhaltspunkten für häusliche Gewalt gegenüber dem Kind und/oder dem anderen Elternteil und deren Folgen umfassend und systematisch nachgehen und eine Risikoanalyse vornehmen muss.
    Sorge- und Umgangsrecht: Bei Partnerschaftsgewalt soll ein gemeinsames Sorgerecht regelmäßig ausscheiden. Es soll klargestellt werden, dass das Familiengericht den Umgang beschränken oder ausschließen kann, wenn dies erforderlich ist, um eine konkrete Gefährdung des betreuenden Elternteils durch einen gewalttägigen Ex-Partner abzuwenden.
  • Liberalisierung des Adoptionsrechts: Auch Paare, die nicht verheiratet sind, sollen gemeinsam ein Kind adoptieren können; bisher ist dies nur verheirateten Paaren möglich. Verheiratete Personen sollen künftig auch allein ein Kind adoptieren können.

Das Eckpunktepapier zur Reform des Kindschaftsrechts ist hier abrufbar. Eine Kurzfassung ist hier abrufbar. Häufig gestellte Fragen zu dem Papier werden hier beantwortet.

Auf Grundlage der beiden Eckpunktepapiere wird das Bundesministerium der Justiz nunmehr Gesetzentwürfe für die Reform des Kindschaftsrechts und die Reform des Abstammungsrechts erarbeiten. Die Gesetzentwürfe sollen noch im ersten Halbjahr 2024 vorgelegt werden.“

Nicht sorgeberechtigter Kindesvater muss bei Entscheidung über Namensänderung des Kindes angehört werden

Ein Kindesvater muss auch dann gemäß § 160 Abs. 1 FamFG bei einer Entscheidung zur Namensänderung angehört werden, wenn er nicht sorgeberechtigt ist. Davon kann gemäß § 160 Abs. 3 FamFG nur bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Dies hat das Oberlandesgericht Brandenburg in einem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 09.05.2023 (Az. 13 WV 6/23) entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Seit dem Jahr 2014 lebten die im Jahr 2011 geborene Zwillinge bei Pflegeeltern in Brandenburg. Sowohl die Kindesmutter als auch der Kindesvater hatten nicht mehr die elterliche Sorge inne. Im Dezember 2021 beantragten die Pflegeltern beim Amtsgerichts Senftenberg die Genehmigung zur Beantragung der Änderung des Familiennamens der Kinder. Nachdem das Gericht sämtliche Beteiligten, bis auf den Kindesvater, angehört hatte, gab es dem Antrag statt. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Kindesmutter.

Fehlende Anhörung des Kindesvaters begründet schwerwiegenden Verfahrensmangel

Das Oberlandesgericht Brandenburg sah in der fehlenden Anhörung des Kindesvaters einen schwerwiegenden Verfahrensmangel. Der Kindesvater hätte trotz dessen, dass er nicht das Sorgerecht hat, gemäß § 160 Abs. 1 FamFG angehört werden müssen. Unerheblich sei auch, dass der Familienname der Kinder nicht mit dem Familiennamen des Kindesvaters übereinstimme. Die Anhörungspflicht knüpfe allein an die rechtliche Elternstellung und nicht an eine unmittelbare Rechtsbetroffenheit.

Kein Absehen von Anhörung des Kindesvaters

Von der Anhörung habe nicht gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 FamFG abgesehen werden können, so das Oberlandesgericht, da sich diese Vorschrift nur auf Verfahren betreffend der Vermögenssorge des Kindes beziehe. Ein schwerwiegender Grund, der gemäß § 160 Abs. 3 FamFG eine Anhörung des Kindesvaters rechtfertigen könne, liege nicht vor.

Guter Glaube schützt nicht davor, das Erbe herausgeben zu müssen

Eine durch Testament oder auch durch Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzte Person trägt das alleinige Risiko dafür, dass die testamentarische bzw. die erbvertragliche Erbeinsetzung wirksam ist. Stellt sich später heraus, dass die Erblasserin nicht die erforderliche Testierfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit besaß, so ist der testamentarisch oder durch Erbvertrag eingesetzte Erbe verpflichtet, den Nachlass an die gesetzlichen Erben herauszugeben. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Testierunfähigkeit oder die mangelnde Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht bekannt war.

Durch Testament und Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzt

Zu diesem Ergebnis kommt das OLG Celle in seinem Urteil vom 26.04.2022 (6 U 2/22) in einem Fall, in dem ein Steuerberater von seiner alleinstehenden, kinderlosen Mandantin zum Alleinerben eines millionenschweren Nachlasses eingesetzt worden war. Die Erblasserin hatte den Steuerberater sowohl durch testamentarische Verfügung im Jahr 2008 als auch durch einen im Jahr 2014 notariell geschlossenen Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzt.

Erfolgloser Antrag auf Erteilung eines Erbscheins

Nach dem Tod seiner Mandantin im Jahr 2015 beantragte der Steuerberater beim Nachlassgericht die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins. Zur Überraschung des Steuerberaters verweigerte das Nachlassgericht die Erteilung des beantragten Erbscheins. Aufgrund bestimmter Anhaltspunkte über das Vorliegen psychischer Störungen der Erblasserin sah sich das Nachlassgericht veranlasst, ein psychiatrisches Gutachten über den psychischen Gesundheitszustand der Erblasserin zu deren Lebzeiten einzuholen.

Erblasserin war nicht testierfähig 

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin zu Lebzeiten unter Wahnvorstellungen litt. Der Gutachter hatte hierzu eine Reihe von Zeugen gehört, darunter Ärzte und Notare, denen die Erblasserin gut bekannt war. Aus den Aussagen dieser Zeugen zog der Sachverständige den Schluss, dass die Erblasserin sowohl bei Errichtung des Testaments im Jahr 2008 als auch bei Unterzeichnung des Erbvertrages im Jahre 2014 nicht testierfähig bzw. nicht geschäftsfähig war.

Steuerberater macht Gutgläubigkeit geltend

Das Nachlassgericht hielt das vom Sachverständigen gefundene gutachterliche Ergebnis für nachvollziehbar und überzeugend und verweigerte endgültig die Erteilung des beantragten Erbscheins. Der Steuerberater beschritt hierauf den gerichtlichen Instanzenweg. Er machte geltend, dass er selbst die Erblasserin gut gekannt habe. Diese sei sowohl zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments als auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages geistig voll orientiert und bei Sinnen gewesen. Er habe daher gutgläubig auf die Testierfähigkeit der Erblasserin sowie darauf vertrauen dürfen, dass ihm das Erbe zufalle.

Es kommt allein auf die Testierfähigkeit der Erblasserin an

Dies sahen die Gerichte bis hin zum OLG anders. Der OLG-Senat machte in einem ausführlichen Hinweis klar, dass es für den Anfall der Erbschaft allein auf die Testierfähigkeit bzw. die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin ankommt. Für die Anwendung der gesetzlichen Regeln über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß § 932 BGB sei in einem solchen Fall kein Platz.

Kein gutgläubiger Erwerb der Erbenstellung 

Die für den rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb geltende Regelung des § 932 BGB könne auf eine Erbeinsetzung durch Testament oder durch Erbvertrag auch nicht analog angewendet werden. Im Erbrecht sei dem frei gebildeten Willen des Erblassers eine vorrangige Bedeutung einzuräumen. Zu einer solchen freien Willensbildung sei die von Wahnvorstellungen geplagte Erblasserin bei Errichtung des Testaments und bei Abschluss des Erbvertrages nicht in der Lage gewesen. Der vom Gericht unterstellte gute Glaube des Steuerberaters sei in diesem Fall nicht schutzwürdig und könne daher auch nicht zum Anfall der Erbschaft führen.

Anmerkung vom Fachanwalt, Rechtsanwalt Kupfer:

Die Bewertung des OLG der fehlenden Bedeutung der Gutgläubigkeit im Rahmen einer Einsetzung als Alleinerbe in einem Testament oder durch notariellen Erbschaftsvertrag ist wenig überraschend. Die Konsequenzen können allerdings erheblich sein, denn hiernach können Personen, die ein vermeintliches Erbe gutgläubig angetreten haben, auch nach Jahren noch verpflichtet sein, den Nachlass an die wahren Erben herauszugeben. Dies kann mit erheblichen praktischen Komplikationen verbunden sein, wenn vermeintliche Erben bereits über Nachlassgegenstände verfügt haben oder Aufwendungen hatten, die dann gegebenenfalls nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag zu ersetzen sein können.

Das Urteil des OLG Celle kann auf der Seite des Landes Niedersachsen durch Anklicken hier komplett gelesen werden.

Endlich: Sexuelle Orientierung darf bei Blutspende keine Rolle mehr spielen!

Es wird auch zeitlich: Endlich sollen Gesetz und Richtlinien so geändert werden, dass vor allem schwulen Männern keine Nachteile im Bereich der Transfusionsmedizin mehr entstehen.

In einem Beitrag der „Ärztezeitung“ vom 10.01.2023 heißt es:

„Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will Diskriminierung von homosexuellen Männern bei der Blutspende beenden. Das geht aus einem Änderungsantrag zum Transfusionsgesetz hervor, über den das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. ‚Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität dürfen keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein‘, heißt es darin.

Mit der geplanten Gesetzesänderung wird die Bundesärztekammer verpflichtet, ihre Blutspende-Richtlinien innerhalb von vier Monaten entsprechend anzupassen. „Ob jemand Blutspender werden kann, ist eine Frage von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung. Versteckte Diskriminierung darf es auch bei diesem Thema nicht geben“, sagte Lauterbach. „Die Bundesärztekammer muss endlich nachvollziehen, was im gesellschaftlichen Leben längst Konsens ist.“

Nach der derzeit gültigen Richtlinie der Bundesärztekammer dürfen Männer, die Sex mit Männern haben, nur dann Blut spenden, wenn sie in den zurückliegenden vier Monaten keinen Sexualverkehr mit ‚einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner‘ hatten. Bei allen anderen Personen besteht die viermonatige Sperre dagegen nur bei ‚häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern‘.

Die Richtlinie war zuletzt 2021 zwar leicht entschärft worden; die Deutsche Aidshilfe und andere Verbände sprachen aber weiterhin von einer Diskriminierung von Schwulen. Im Koalitionsvertrag einigten sich die Ampel-Parteien schließlich darauf, für eine Gleichbehandlung zu sorgen.

Nach dem Entwurf des Änderungsantrags wird nunmehr vorgeschrieben, dass das sexuelle Risiko, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, nur auf „Grundlage des individuellen Verhaltens der spendewilligen Person“ ermittelt werden darf. „Gruppenbezogene Ausschluss- oder Rückstellungstatbestände sind insoweit nicht mehr zulässig“, heißt es in der Begründung. Zudem dürften die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität spendewilliger Personen als solche keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein.

Seit der Aids-Krise in den 80er Jahren war es Männern, die Sex mit Männern haben, zunächst verboten, Blut zu spenden. Das Spendeverbot wurde damit begründet, dass das Sexualverhalten der genannten Personen ‚ein Risiko für den Empfänger von Blutprodukten‘ mit sich bringen könne.“

Die aktuell noch geltende „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie)“ können Sie auf der Homepage der Bundesärztekammer einsehen und durch Klicken hier ansteuern.

Zur Errichtung eines Nottestaments am Krankenbett

Die Möglichkeit der Errichtung eines Nottestaments vor drei Zeugen beruht auf einer eng auszulegenden Ausnahmevorschrift. Sie setzt eine unmittelbare Todesgefahr des Erblassers sowie die Unerreichbarkeit eines Notars oder Bürgermeisters voraus, das hat das Berliner Kammergericht (KG) vergleichbar einem Oberlandesgericht in den anderen Bundesländern, in einem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 22.06.2022, Az. 6 W 7/21, nochmals betont.

Die Errichtung eines Nottestaments kommt in der Praxis nicht allzu häufig vor. Dies hat zur Folge, dass die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die sich mit den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Nottestaments befassen, eher gering ist. Das KG Berlin hat sich ausführlich mit der Wirksamkeit eines am Krankenbett einer Erblasserin errichteten Nottestaments befasst.

Errichtung eines Nottestaments am Krankenbett

Gegenstand des vom KG Berlin entschiedenen Verfahrens ist der Antrag zweier Nachbarn der Erblasserin auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerben ausweisen sollte. Die rund 87 Jahre alte Erblasserin wurde am 15.10.2019 in ein Berliner Klinikum eingeliefert, in dem sie am 5.11.2019 an einem organüberschreitenden Karzinom verstarb. Noch am 29.10.2019 war die Patientin nach Feststellung der Ärzte wach, ansprechbar und orientiert. 5 Tage zuvor, am 24.10.2019 wurde in Anwesenheit der Antragstellerin sowie dreier Zeugen ein „Nottestament“ errichtet, auf welches die Antragsteller ihren Erbscheinantrag stützen.

Vorbereitetes „Testament“ von Erblasserin und 3 Zeugen unterschrieben

Das mit den Worten „Mein letzter Wille“ überschriebene „Nottestament“ war maschinenschriftlich von den Antragstellern vorbereitetund von diesen in gedruckter Form ins Krankenhaus mitgebracht worden. In dem Dokument wurden die Antragsteller zu je 1/2 als alleinige Erben der Erblasserin bestimmt. Darüber hinaus enthielt das Dokument Regelungen zu möglichen Ersatzerben und zur Testamentsvollstreckung. Die Erblasserin las das Dokument vor und unterschrieb es, ebenso die 3 anwesenden Zeugen sowie eine Antragstellerin.

Erteilung eines Erbscheins abgelehnt

Das von den Antragstellern angerufene Nachlassgericht hat die Erteilung eines Erbscheins abgelehnt. Das KG hat die ablehnende Beschwerde-Entscheidung des Nachlassgerichts bestätigt.

Regeln über die Errichtung eines Nottestaments maßgeblich

In seiner Entscheidung hat das KG zunächst klargestellt, dass der Regelfall eines ordentlichen Testaments gemäß § 2231 BGB nicht gegeben war, da das Testament von der Erblasserin nicht eigenhändig niedergeschrieben wurde. Das von der Erblasserin auf beiden Seiten mit einer gut lesbaren Unterschrift versehene Dokument sei deshalb daraufhin zu überprüfen, ob es nach den Regeln über die Errichtung eines Nottestaments gemäß § 2250 Abs. 2 BGB als formgültige letztwillige Verfügung ausgelegt werden kann.

Gesetzliche Regelung zum Nottestament

Gemäß § 2250 Abs. 2 BGB kann ein Erblasser ein Testament durch

  • mündliche Erklärung
  • vor 3 Zeugen errichten, wenn
  • die Gefahr eines so kurzfristigen Eintritts des Todes besteht, dass
  • weder die Errichtung des Testaments vor einem Notar
  • noch zur Niederschrift des Bürgermeisters der Gemeinde gemäß § 2249 BGB möglich ist.

Nach der Rechtsprechung steht eine unmittelbar zu besorgende Testierunfähigkeit des Erblassers der Gefahr eines umgehenden Eintritts des Todes gleich (KG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015, 6 W 93/15).

Notlagentestament nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig

Nach Auffassung des KG sind die Voraussetzungen an die Wirksamkeit einer in solchen Fällen als Notlagentestament bezeichneten letztwilligen Verfügung gemäß § 2250 Abs. 2 BGB nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Errichtung eines solchen Notlagentestaments habe der Gesetzgeber als besondere Ausnahmevorschrift ausgestaltet, deren gesetzlich normierte Voraussetzungen daher eng auszulegen seien (BGH, Urteil v. 1.6.1970, III ZB 4/70).

Zum Tode führende Erkrankung reicht für akute Todesgefahr nicht aus

Im konkreten Fall sah das KG in der schweren unheilbaren Erkrankung der Erblasserin keine dermaßen akute Todesgefahr verwirklicht, die am Tag der Abfassung die Errichtung eines Nottestaments erfordert hätte. Noch 5 Tage später, am 29.10.2019 sei die Erblasserin nach dem Urteil der Ärzte noch wach und geistig orientiert gewesen. Deshalb sei auch nicht davon auszugehen, dass die 3 Zeugen, die das Dokument unterschrieben hatten, bei Errichtung des Testaments subjektiv davon ausgegangen seien, dass die Gefahr des Todes der Erblasserin oder deren Testierunfähigkeit unmittelbar bevorstünden.

Es darf kein Notar mehr erreichbar sein

Damit war der gesundheitliche Zustand der Erblasserin am Tag der Testamentserrichtung nach der Bewertung des KG nicht so bedrohlich, dass die Errichtung eines Testaments vor einem Notar nicht mehr möglich gewesen wäre. In der Stadt Berlin residieren nach den Feststellungen des LG mehr als 1.000 Notare. Davon sei mit hoher Wahrscheinlichkeit einer erreichbar gewesen, der zur Beurkundung eines Testaments am Krankenbett der Erblasserin bereit gewesen wäre. Die Unerreichbarkeit eines Notars sei nur dann plausibel, wenn ein Nottestament deutlich außerhalb der üblichen Bürozeiten oder der räumlichen Reichweite eines Notars errichtet werden muss. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

Bürgermeistertestament hat Vorrang vor 3-Zeugen-Testament

Auch den gesetzlichen Vorrang des Bürgermeistertestaments gemäß § 2249 BGB hatten die Antragsteller nach Auffassung des KG nicht hinreichend beachtet. Entgegen der von ihnen vertretenen Auffassung wäre es nicht erforderlich gewesen, den sicherlich schwer erreichbaren Regierenden Bürgermeister von Berlin zu konsultieren, ausreichend wäre im Fall der Unerreichbarkeit eines Notars die Hinzuziehung eines der in Berlin residierenden diversen Ortsbürgermeister gewesen.

Einhaltung der Formvorschriften beim Nottestament unabdingbar

An diesem Ergebnis ändert es nach Auffassung des KG auch nichts, dass nach dem Gericht vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von 2 Zeuginnen und auch nach dem Inhalt der vom Nachlassgericht durchgeführten Anhörung die Erblasserin in der Vergangenheit mehrfach geäußert hatte, die Antragsteller als Alleinerben einsetzen zu wollen. Auch der Umstand, dass die Erblasserin das Dokument bei klarem Verstand unterzeichnet habe, führe nicht zur Formgültigkeit eines Nottestaments. Für die Bewertung eines Notlagentestaments sei nicht allein der mutmaßliche oder tatsächliche Wille des Erblassers maßgeblich, vielmehr komme es maßgeblich auf die Einhaltung der nach dem Willen des Gesetzgebers zwingenden Formvorschriften an.

Antrag auf Erteilung des Erbscheins zurückgewiesen

Im Ergebnis lag damit nach Auffassung des KG kein wirksam errichtetes Notlagentestament vor. Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins blieb somit erfolglos.

Hinweis: Formale Voraussetzungen sind zu beachten:

  • Bereitschaft der Zeugen

Die Zeugen müssen zur Mitwirkung unter Übernahme der Verantwortung für die richtige Wiedergabe des Erblasserwillens bereit sein.

  • Anwesenheitspflicht

Die drei Zeugen müssen während des ganzen Errichtungsakts anwesend sein, dh bei der Erklärung des Erblassers. auch noch bei der Verlesung und Genehmigung der Niederschrift und Unterzeichnung durch den Erblasser.

  • Ausschließungsgründe

Ausgeschlossen als Zeugen sind danach der Erblasser, sein Ehegatte, sein Lebenspartner und die mit ihm in gerader Linie Verwandten.

  • Mitwirkungsverbote

Einen Mangel des Errichtungsakts, nicht um einen heilbaren Formfehler handelt es, wenn als Zeugen bestimmte Personen (Minderjährige, Geisteskranke, Geistesschwache, Hör-, Seh-, Sprech- und Schreibunfähige) herangezogen werden.

  • Niederschrift

Das Dreizeugentestament setzt für seine Gültigkeit zwingend eine Niederschrift voraus. Diese Niederschrift, d.h. die unterschriebene schriftliche Aufzeichnung des vor drei Zeugen erklärten und dem Erblasser in Gegenwart der Zeugen aus der Aufzeichnung vorgelesenen und von ihm genehmigten letzten Willen, muss im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits vorhanden sein.

Der Beschluss des KG ist auf der Internetplattform des Berliner Senats veröffentlicht und kann durch Anklicken hier vollständig gelesen werden.

Alles Gute zum neuen Jahr 2023!

Das Team von MELCHER MORAT Rechtsanwälten wünscht Ihnen für das neue Jahr nur das Beste und dieser Welt Frieden, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich.

Zur Einstimmung informieren wir Sie hier über einige der relevantesten Rechts- u.a. Änderungen, die ab diesem neuen Jahr gelten. Weitere Informationen erhalten Sie selbstverständlich bei uns direkt.

Abfahrt für das 49-Euro-Ticket

Das 9-Euro-Ticke bekommt einen Nachfolger: Bund und Länder haben sich auf ein „Deutschland-Ticket“ geeinigt. Mit 49 Euro ist es kein ganz so großes Schnäppchen wie sein Vorgänger, aber es soll ebenfalls in allen Nahverkehrsverbünden gelten. Wann es genau startet, ist noch unklar. Als wahrscheinlicher Termin gilt der 1. April oder der 1. Mai 2023.

Höherer Grundfreibetrag

Der Grundfreibetrag ist mit dem Jahresbeginn um 561 Euro auf 10.908 Euro gestiegen. Diese Änderung soll sicherstellen, dass das Existenzminimum nicht besteuert wird. Um die kalte Progression zu mindern, also einer schleichenden Steuererhöhung infolge von Lohnsteigerungen und Inflation, greift der Spitzensteuersatz von 42 Prozent künftig erst bei 62.810 Euro. Zuvor waren es 58.597 Euro.

Das Wohngeld Plus kommt

Neben dem 49-Euro-Ticket gibt es auch eine Wohngeldreform. Künftig sollen mehr als doppelt soviel Haushalte als bislang die nun „Wohngeld Plus“ genannte Leistung bekommen, sie steigt nach Angaben der Regierung von durchschnittlich rund 180 Euro pro Monat (ohne Reform) auf rund 370 Euro.

Die Wohngeldämter rechnen mit 1,5 Millionen Anträgen, doch die Technik in den Behörden macht das nicht mit. Die Software für die Online-Beantragung könnte in einigen Bundesländern erst im Frühjahr fertig werden, zu wenig Personal gibt es sowieso.

Höhere Beitrage bei Arbeitslosen- und Krankenversicherung

Zuerst die schlechte Nachricht: Die Sozialbeiträge steigen insbesondere für Gutverdiener kräftig an. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung klettert von 2,4 auf 2,6 Prozent des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts, der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung von durchschnittlich 1,3 auf 1,6 Prozent. Auch die Pflegeversicherung könnte im Laufe des Jahres 2023 teurer werden.

Home-Office-Pauschale für alle

Und jetzt die gute Nachricht: Die Arbeit zuhause wird weiter gefördert, die steuerlichen Regeln für Arbeitszimmer gelockert. Die Home-Office-Pauschale, eigentlich eine Erfindung der Pandemiejahre, wird nun verstetigt und erhöht. Statt wie bislang 5 Euro pro Arbeitstag (bei maximal 120 Arbeitstagen im Jahr) soll es sie 2023 für insgesamt 210 Tage geben. Zudem steigt der Tagessatz auf 6 Euro für alle, die am Küchentisch, im Heizungskeller oder wo auch immer arbeiten. Das steht im neuen Jahressteuergesetz.

Wer die maximal möglichen Home-Office-Tage ansetzt, darf sich also über 1260 Euro Home-Office-Pauschale freuen. Allerdings muss sie weiterhin mit der Werbungskostenpauschale verrechnet werden, die von 1.200 Euro auf 1.230 Euro angehoben werden soll.

Einfacher soll es für die werden, die ein richtiges häusliches Arbeitszimmer haben. Im  Jahressteuergesetz wird dessen Besteuerung der Home-Office-Pauschale angeglichen. Bildet das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit, können Arbeitnehmer zwischen einer Jahrespauschale von 1.260 Euro oder dem Abzug der tatsächlichen Aufwendungen in voller Höhe wählen.

Bildet das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der beruflichen Betätigung, steht aber dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, können Betroffene anstelle der Jahrespauschale die Homeoffice-Pauschale von 6 Euro pro Tag geltend machen – wieder bis maximal 1.260 Euro.

Rechengrößen in der Sozialversicherung

Die Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen verschieben sich – wie zu jedem Jahreswechsel – nach oben. Die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenkasse steigt monatlich um 150 Euro auf 4987,50 brutto (59.850 Euro brutto im Jahr). Die Krankenkassenbeiträge berechnen sich bis zu diesem Betrag; wer mehr verdient, muss davon nichts mehr an die Krankenkasse abgeben. Die Versicherungspflichtgrenze, ab der Angestellte in die private Krankenkasse wechseln können, verschiebt sich von 64.350 Euro auf 66.600 Euro brutto jährlich.

Die Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung steigt auf 7.300 Euro monatlich (bislang 7.050 Euro) im Westen und 7.100 Euro (bislang 6.750 Euro) monatlich im Osten.

Zuschlag bei Kinderzuschlag und Kindergeld

Auch für Familien steckt etwas im Entlastungspaket III: Das Kindergeld wurde zum 1. Januar 2023 kräftig um 31 Euro auf 250 Euro für jedes der ersten drei Kinder erhöht. Für eine Familie mit zwei Kindern bedeute das eine jährliche Entlastung um 744 Euro, rechnet die Bundesregierung vor. Auch der Kinderzuschlag für Alleinerziehende und Familien mit niedrigem Haushaltseinkommen steigt auf maximal 250 Euro.

Unbegrenzt hinzuverdienen

Der Arbeitsmarkt braucht jede und jeden – und deshalb fallen jetzt die nächsten Hinzuverdienstgrenzen für Rentner. Menschen in der Regelaltersrente dürfen schon 2017 unbegrenzt dazuverdienen, seit dem 1. Januar 2023 gilt dies nun auch für Frührentner. Gehen sie weiter arbeiten, wird das Einkommen nicht mehr auf die Frührente angerechnet. 2022 galt für ihren anrechnungsfreien Hinzuverdienst noch eine Höchstgrenze von bis zu 46.060 Euro jährlich.

Auch die Hinzuverdienstgrenzen für Menschen mit Erwerbungsminderungsrente (EM-Rente) werden großzügig ausgeweitet: Mit voller EM-Rente dürfen bis zu 17.823,75 Euro jährlich anrechnungsfrei hinzuverdient, aber nicht mehr als drei Stunden täglich gearbeitet werden. Bei Menschen mit teilweiser Erwerbsminderungsrente liegt die Grenze bei 35.647,50 Euro jährlich und maximal 6 Stunden Arbeit täglich.

Der Sozialverband VdK kritisiert, dass von dieser Gesetzesänderung nur die profitieren, die ohnehin schon eine gute Rente beziehen. Einkommensschwache ältere Arbeitnehmer könnten es sich gar nicht leisten, früher in Rente zu gehen, weil die Abschläge zu hoch seien.

Mehr Rente mit Angleichung zwischen Ost und West

Vor zwei Jahren fiel die Rentenerhöhung aus, 2022 gab es einen kräftigen Zuschlag – und so geht es auch 2023 weiter: Die Renten sollen zum 1. Juli um 3,5 Prozent (alte Länder) und 4,2 Prozent (neue Länder) steigen. Auch die Rentenangleichung zwischen Ost und West kommt voran: So soll zum Juli 2023 der Rentenwert in den neuen Bundesländern bei 99,3 Prozent des Westwerts liegen, bevor dann am 1. Juli 2024 dasselbe Niveau erreicht ist.

Der Rentenbrief wird digital

Alle Versicherten kennen den Brief, den die Deutsche Rentenversicherung an alle ab 27 Jahren einmal im Jahr verschickt. Sein Inhalt: Angaben über die zu erwartende Rente und deren Höhe. 2018 entdeckte die schwarz-rote Bundesregierung, dass diese Art der Information vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß ist, und brachte ein Rentenportal auf den Weg.

2023, also fünf Jahre später, soll die „Digitale Rentenübersicht“ in den Testbetrieb gehen. Interessierte Bürger sollen das Portal ab Sommer probeweise nutzen dürfen, bevor der Regelbetrieb dann 2024 beginnen soll.

Kostenbremsen bei den Gas-, Fernwärme- und Strompreisen

Die Gas- und Strompreisbremsen gelten nicht gerade als Musterbeispiel für eine gelungene Gesetzmechanik: zu kompliziert, zu bürokratisch, zu spät, kaum umsetzbar und irre teuer, lautet die Kritik. Aber es hilft ja nichts: Der Winter ist gekommen, und da muss Deutschland jetzt durch. So will die Bundesregierung Gas- und Fernwärmekunden bereits im Dezember eine Soforthilfe in Höhe eines Monatsabschlags zahlen. Zusätzlich soll ab 2023 eine Strom- und Gaspreisbremse geben, die bis April 2024 wirken soll.

Geplant ist, dass private Haushalte  für 80 Prozent des für 2023 prognostizierten Gas- und Stromverbrauchs einen gedeckelten Preis zahlen. Bei Gas liegt dieser bei 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh), für Fernwärme bei 9,5 Cent/kWh, für Strom gilt ein Preisdeckel bei 40 Cent pro kWh. Über die 80-Prozent-Marke hinaus soll der Marktpreis fällig werden.

Kunden müssen nichts weiter tun, die Versorger sollen die Entlastung berechnen und die reduzierten Abschläge automatisch in Rechnung stellen. Damit die Anbieter mehr Zeit haben, sollen die Entlastungbeträge für Januar und Februar erst im März ausgezahlt werden. Mieterinnen und Mieter werden von den Preisbremsen in der Regel erst bei der Betriebskostenabrechnung profitieren.

Neues Tierwohllabel für Schweinefleisch

Wer gern in Schwein beißt, soll jetzt erfahren können, wie das Tier zuvor gelebt hat. Wurde es hierzulande gehalten und verkauft, muss das Fleisch mit der Haltungskategorie gekennzeichnet werden. Davon gibt es künftig fünf:

  • Stall (Haltung nach Mindestanforderungen),
  • Stall+Platz (20 Prozent mehr Bodenfläche),
  • Frischluftstall (Ställe haben noch mehr Platz und sind nach mindestens einer Seite offen),
  • Auslauf/Freiland (mindestens 8 Stunden Auslauf am Tag) und
  • Bio (noch größere Auslauffläche, noch mehr Platz im Stall).

Weil das Gesetz zunächst nur für Schweine gelten soll, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund es als „großspurige Irreführung“. Wichtige Themen wie Transport und Schlachtung der Tiere würden gar nicht erfasst.

Das Recht auf Reparatur kommt

Smartphones und Tablets sollen künftig leichter zu reparieren sein: Niemand soll mehr sein Handy wegwerfen müssen, weil der Akku nicht austauschbar ist. Mit der Ökodesign-Verordnung will die EU-Kommission die Hersteller verpflichten, bestimmte Ersatzteile und Reparaturinformationen vorzuhalten und Software-Updates zu gewährleisten – und das für bis zu sieben Jahre. Mit dem „Recht auf Reparatur“ wären die Geräte langlebiger – und letztlich nachhaltiger.

Die Ökodesign-Verordnung soll laut Bundeswirtschaftsministerium 2023 in Kraft treten und nach einer 21-monatigen-Übergangsfrist für alle in der EU verkauften Geräte gelten.

Mehr Abzugsmöglichkeiten für Sparer

Zum ersten Mal seit seiner Einführung 2009 steigt der Sparerpauschbetrag, seit Anfang 2023 liegt er bei 1000 Euro für Singles (2000 Euro für Verheiratete). Zuvor waren es jahrelang 801 Euro (1602 Euro für Eheleute). Bis in diese Höhe sind etwa Zinseinnahmen oder Aktiendividenden steuerfrei. Ein weitergehender Abzug von Werbungskosten zum Beispiel für Beratung und Vermögensverwaltung ist ausgeschlossen.

Mehr Heimschläfer nach Operationen

Kliniken sollen mehr Geld bekommen, so will es die Bundesregierung mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Das werden Patientinnen und Patientin durchaus positiv zu spüren bekommen: So müssen sie für viele Eingriffe nicht mehr in der Klinik übernachten. Die Krankenhäuser dürfen künftig ambulante Eingriffe, bei denen die Behandelten nur tagsüber im Krankenhaus sind, mit attraktiven Vergütungssätzen abrechnen. Der Heimschläfer-Ansatz soll das Pflegepersonal entlasten.

Mehr Geld, etwa 380 Millionen Euro in den kommenden zwei Jahren, gibt es außerdem für Kinderkrankenhäuser und die Geburtshilfe.

Mehrweg-Pflicht in der Gastronomie

Mit Kräutersoße oder Knoblauch? Wer ein Essen to-go ordert, wird künftig nicht nur gefragt werden, welches Topping auf den Dönerteller soll – Kunden müssen seit Januar 2023 auch zwingend darauf hingewiesen werden, dass sie die Speisen und Getränke in Mehrwegbehältern erhalten können. Die wiederverwendbaren Behältnisse dürfen nicht mehr kosten als ihre Einweggeschwister, allerdings, so schreibt das Umweltbundesamt, „bleibt die Erhebung eines angemessenen Pfandes auf die Mehrwegverpackungen möglich“.

Die Pflicht, auch Mehrwegbehältnisse anzubieten, trifft Restaurants, Bäckereien, Bistros und Cafés, aber Tankstellen und Kantinen. Kunden müssen laut § 33 Absatz 2 Verpackungsgesetz mit „deutlich sicht- und lesbaren Informationstafeln oder -schildern“ auf die Mehrwegmöglichkeit hingewiesen werden, entsprechendes gilt für Onlinebestellungen.

Ausgenommen sind lediglich sehr kleine Geschäfte wie Imbisse, Spätis oder Kioske, in denen maximal fünf Beschäftigte arbeiten und die nicht mehr als 80 Quadratmeter Ladenfläche haben. Verkaufsstellen von Filialketten gelten nicht als kleine Geschäfte, weil im gesamten Unternehmen mehr als fünf Angestellte tätig sind.

Weniger Geld für E-Autos

Bislang gab der Staat eine beachtliche Menge Geld dazu, wenn sich seine Bürger ein Elektroauto zulegten. 6000 Euro waren es bei einem Nettolistenpreis von bis zu 40.000 Euro. Doch mit dem Jahresbeginn hat die Bundesregierung den „Umweltbonus“ zusammengestrichen. Nach den neuen Förderrichtlinien gibt es für E-Autos

  • mit einem Nettolistenpreis bis zu 40.000 Euro statt 6000 Euro nur noch 4.500 Euro,
  • mit einem Nettolistenpreis zwischen 40.000 Euro und bis zu 65.000 Euro statt 5.000 nur noch 3.000 Euro.

Plug-In-Hybride fallen ganz aus der Förderung, weil das Bundeswirtschaftsministerium nur noch Autos mitfinanzieren will, die „nachweislich einen positiven Klimaschutzeffekt haben“. Die neuen Regeln gelten für Anträge, die ab dem 1. Januar 2023 gestellt werden.

Unternehmen sind bis zum 31. August 2023 antragsberechtigt, danach erhalten nur noch Privatleute die Förderung. Derzeit wird noch diskutiert, ob auch Kleingewerbetreibende über den September hinaus vom Umweltbonus profitieren sollen. 2024 gehen die Fördersätze weiter runter.

Energiepreisbremse für Betriebe

Nicht nur für Verbraucher, auch für kleine und mittelgroße Unternehmen wird es eine Energiepreisbremse geben – unter ganz ähnlichen Bedingungen wie für privaten Kunden. So sollen Betriebe mit einem Gasverbrauch von weniger als 1500 Megawattstunden einen gedeckelten Preis von 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zahlen, für Fernwärme liegt dieser bei 9,5 Cent/kWh.

Wie bei Privatkunden gilt die Preisbremse für 80 Prozent des für 2023 prognostizierten Gas- und Fernwärmeverbrauchs, darüber hinaus greift der Marktpreis. Das soll zum Energiesparen anregen.

Der Strompreis wird für kleine Unternehmen ebenso wie für Verbraucher bei 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Ebenso wie bei der Gaspreisbremse sind die Hilfen auf 80 Prozent des historischen Verbrauchs limitiert – in der Regel gemessen am Vorjahr. Für große Industrieunternehmen mit mehr als 30.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch liegt der Deckel bei 13 Cent (Netto-Arbeitspreis) für 70 Prozent des historischen Verbrauchs, danach greift der Marktpreis.

Die Energiepreisbremse soll erst ab März 2023 starten und dann rückwirkend auch für Januar und Februar ausgezahlt werden. Für große industrielle Gasverbraucher soll die Auszahlung bereits im Januar beginnen.

Energieintensive Unternehmen, die trotz der Preisbremsen vor dem Ruin stehen, sollen mit einer „Härtefallhilfe“ unterstützt werden. Das gilt für etwa Betriebe, die mit Öl oder Holzpellets heizen oder deren Energiepreise sich schon im Sommer 2022 vervielfacht haben. Dafür stellt der Bund 1 Milliarde Euro zur Verfügung, die Länder regeln die Details.

Mehr Sorgfalt in der Lieferkette

Ab 2023 sind große Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer Lieferanten im Ausland verantwortlich. Das vollständigerweise „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ genannte Regelwerk verpflichtet Betriebe mit mindestens 3000 Beschäftigten, Vorkehrungen zu treffen, mit denen sie Rechtsverletzungen bei ihren Zulieferern verhindern können.

Das Gesetz verlangt, dass Unternehmen einen unternehmerisch sorgfältigen Prozess schaffen müssen, der bei einem Risikomanagement beginnt, Schulungen oder Zertifizierungen umfasst und ein Beschwerdesystem vorsieht, falls ein Zulieferer die Menschenrechte verletzt.

Nachweisen müssen die Unternehmern also vor allem, dass sie sich bemüht haben, also zum Beispiel mit den Lieferanten gesprochen oder die Risiken dokumentiert haben. Dass sie die Menschenrechtsverletzungen in jedem Fall beseitigen, ist aber nicht Teil des Pflichtenheftes. Verlangt werden nur Maßnahmen, die machbar und „angemessen“ sind. Je mehr Einfluss das Unternehmen hat, desto mehr Anstrengungen können auch von ihm erwartet werden. Ab 2024 müssen auch Firmen ab 1000 Mitarbeitern das Lieferkettengesetz beachten.

Der digitale gelbe Zettel kommt – jetzt wirklich

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) war so etwas wie ein Albtraumprojekt für die Gesundheitsverwaltung und musste mehr als einmal verschoben werden. Nun lichtet sich das Digitalisierungschaos, und die eAU wird zur Pflicht für Unternehmen. Das bedeutet konkret: Seit Januar müssen Beschäftigte keinen „Gelben Schein“ mit ihrer Krankschreibung mehr an den Betrieb schicken.

Ihrem Arbeitgeber müssen sie aber sehr wohl noch mitteilen, dass sie arbeitsunfähig sind und wie lange das voraussichtlich so bleiben wird. Der Betrieb wartet dann allerdings nicht mehr auf den gelben Zettel, sondern ruft die Krankheitsdaten bei der Krankenversicherung des Arbeitnehmers elektronisch ab.

Azubis bekommen mehr

Die Mindestausbildungsvergütung steigt von 585 Euro auf 620 Euro für Ausbildungen, die 2023 begonnen werden – das ist das Minimum, das nicht-tarifgebundene Arbeitgeber Lehrlingen zahlen müssen. Im 2. Lehrjahr steigt die Mindestvergütung um 18 Prozent und im 3. Lehrjahr um 35 Prozent (gegenüber dem 1. Ausbildungsjahr).

Eine Nummer für jeden Betrieb

Unternehmen, die bei einer Berufsgenossenschaft und der Unfallkasse Mitglied sind, erhalten zum 1. Januar eine Unternehmensnummer. Diese ist bundeseinheitlich und ersetzt die alten Mitgliedsnummern, die nur für den jeweiligen Träger galten. Zusammen mit der neuen 15-stelligen Nummer übermitteln die Firmen die Jahresdaten für die Unfallversicherungen und die Lohnnachweise digital.

Neue Verdienstgrenze bei Midijobs

Änderungen gibt es auch für Midijobber: Sie dürfen im neuen Jahr nun bis zu 2.000 Euro verdienen, ohne dass sie die vollen Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Die Verdienstgrenze war erst vor kurzem, im Oktober 2022, auf 1.600 Euro erhöht worden, jetzt steigt sie abermals. Durch die neuerliche Anhebung könnten einige Teilzeitkräfte plötzlich zu Midijobbern werden.

Meldestelle für Whistleblower

Seit 1. Januar müssen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern sowie Finanzdienstleister unabhängig von der Mitarbeiterzahl eine Meldestelle für Whistleblower eingerichtet haben, bei der Angestellte Hinweise auf Rechtsverstöße melden können – etwa im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz, Mindestlohn, Geldwäsche oder zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Unternehmen mit 50 bis zu 249 Mitarbeitern haben für die Einrichtung bis zum 17. Dezember 2023 Zeit.

Beitrag zur Künstlersozialkasse steigt

Nachdem er vier Jahre lang stabil war, machte der Beitrag zur Künstlersozialkasse zum Jahreswechsel einen Sprung von 4,2 auf 5 Prozent. Er bemisst sich an den Honoraren, die das Unternehmen im Vorjahr an kreative Auftragnehmer (Webdesigner, Fotografen, Texter etc.) gezahlt hat.

Neue Sachbezugswerte

Das neue Jahr bringt wie so häufig neue Sachbezugswerte mit sich – das sind die Beträge, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versteuern müssen, wenn sie ihren Mitarbeitern ein freies Essen oder eine freie Unterkunft stellen. Seit Januar 2023 gelten für verbilligte oder unentgeltliche Mahlzeiten Sachbezugswerte von:

  • 2 Euro für ein Frühstück (2022: 1,87 Euro) und
  • 3,80 Euro für ein Mittag- oder Abendessen (2022: 3,57 Euro)

Das entspricht einem Monatswert von 288 Euro (Vorjahr: 270 Euro).

Die Betriebsprüfung wird digital

Bislang war die Teilnahme für Arbeitgeber freiwillig, seit Januar 2023 ist die elektronisch unterstützte Betriebsprüfung (euBP) Pflicht. Das heißt für Arbeitgeber: Sie müssen nun die Daten aus den Lohnabrechnungen ihrer Beschäftigten digital an die Deutsche Rentenversicherung übermitteln. Wer die Entgeltabrechnung noch händisch erstellt oder kein Geld für ein Software-Update hat, kann sich bis maximal Ende 2026 befreien lassen.

Die Rentenversicherung prüft die Daten auf Plausiblität und nimmt damit eine digitale Betriebsprüfung vor. Der ein oder andere Vor-Ort-Besuch von Prüfern in den Unternehmen dürfte damit überflüssig werden.

Steuerprivileg für die Photovoltaik

Rückwirkend zum Jahresanfang 2022 werden die Einnahmen und Entnahmen bei kleineren Photovoltaikanlagen einkommensteuerfrei. Das Privileg gilt für Anlagen bis zu einer Leistung von 30 kW/peak (peak: Spitzenleistung oder Nennleistung ist die maximal abgegebene Leistung einer Anlage) auf Einfamilienhäusern und Gewerbeimmobilien und bis zu einer Leistung von 15 kW (peak) auf Mehrfamilienhäusern je Wohn- und Gewerbeeinheit. Die Neuregelung ist unabhängig davon, wann die Anlage in Betrieb genommen wurde.

Änderungen gibt es auch bei der Umsatzsteuer: Für neue kleine Anlagen, inbesondere für solche bis 30 kW (peak) Anlagenleistung, entfällt sie ab 2023. Die Lieferung und Installation derartiger Systeme unterliegt ab 2023 einer im deutschen Recht neuartigen Nullsteuer. Im Endeffekt bedeutet das, dass sowohl das Material als auch dessen Montage nicht mit Umsatzsteuer belastet wird.

Schlechte Dämmung ist Vermietersache

Seit Jahresbeginn teilen sich Vermieter und Mieter die CO2-Kosten. Bislang war das Aufgabe der Mieter. Für die Aufteilung gilt künftig ein Stufenmodell, dessen Faustformel lautet: Je schlechter die Energiebilanz des Hauses, desto höher der Anteil des Vermieters oder der Vermieterin. Ist das Gebäude kaum gedämmt, so trägt der Vermieter 95 Prozent, die Mieter 5 Prozent der CO2-Kosten.

Für Gewerbegebäude sollen die CO2-Kosten zwischen Mietern und Vermietern geteilt werden, außer es ist etwas Anderes vereinbart. Bis Ende 2025 soll auch hier ein Stufenmodell entwickelt werden.

Neue Grundsicherung mit dem Bürgergeld

Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld – die Bundesregierung hat zum 1. Januar 2023 das System der Grundsicherung umgestaltet. Was auf den ersten Blick wie eine Vergangenheitsbewältigung der SPD wirkt, die nach Einführung des Arbeitslosengeldes II (im Volksmund: Hartz IV) reihenweise Wahlen verlor, ist tatsächlich eine ausgewachsene arbeitsmarktpolitische Reform.

Zunächst steigt der Regelsatz für Menschen in der Grundsicherung um 53 auf 502 Euro. Zudem soll das Bürgergeld künftig nicht mehr rückwirkend an die Teuerung angepasst werden, sondern – im jährlichen Turnus – vorausschauend.

Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs gilt zudem eine Karenzzeit: Demnach dürfen die Empfänger Vermögen bis zu 40.000 Euro, jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft bis zu 15.000 Euro Erspartes behalten. Die Miete wird in den ersten 12 Monaten vollständig vom Staat übernommen, die Heizkosten „im angemessenen Umfang“, wie das Bundesarbeitsministerium in einem FAQ schreibt. Nach Ablauf der Karenzeit sind bis zu 15.000 Euro Erspartes pro Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erlaubt.

Bei Selbstständigen soll auch Vermögen, das der Alterssicherung dient, bis zu einer bestimmten Höhe unangetastet bleiben. Wieviel Schonvermögen im Einzelfall geschützt ist, unterliegt einer komplizierten Berechnung und hängt vor allem von der Dauer der Selbstständigkeit ab.

Neue Düsseldorfer Tabelle zum 01.01.2023 – Fachanwältin stellt vor!

Die Düsseldorfer Tabelle, die die Regelsätze für den Kindesunterhalt sowie Selbstbehaltsätze für den Unterhaltspflichtigen festlegt, wird zum 01.01.2023 angepasst.

Für die Unterhaltsberechtigten erhöhen sich die Bedarfssätze. Bei der Anrechnung des hälftigen Kindergeldes wird das Kindergeld ab 2023 mit € 250,00 einheitlich je Kind berücksichtigt.

Für Studenten mit eigenem Haushalt erhöht sich der monatliche Bedarf von € 860,00 auf € 930,00, bei einer Warmmiete von € 410,00. Bei erhöhtem Bedarf oder mit Rücksicht auf die Lebensstellung der Eltern kann nach oben abgewichen werden.

Auch für den Unterhaltsverpflichteten ändern sich die Bedarfssätze. So steigt der notwendige Eigenbedarf ( Selbstbehalt ) eines Erwerbstätigen gegenüber minderjährigen oder privilegierten Kindern bis 21 Jahre von € 1.160,00 auf € 1.370,00 ( bei einer Warmmiete von € 520,00 ). Gegenüber Studierenden mit eigenem Haushalt erhöht sich der Eigenbedarf auf € 1.650,00 ( angemessener Eigenbedarf ).

Die Düsseldorfer Tabelle hat keine Gesetzeskraft, wird aber von den Gerichten als Maßstab und Richtilinie zur Berechnung des Unterhalts herangezogen.

Die Tabelle kann hier eingesehen werden.

Erbrecht: Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen

Haben Ehegatten sich gegenseitig zu Erben eingesetzt und nach dem Tod des Letztversterbenden einem Verwandten eines der Ehegatten den Nachlass zugedacht, so kann nach dem Tod des Erstversterbenden der längerlebende Ehegatte kein hiervon abweichendes Testament errichten.

Ein Testamentsvollstrecker hatte Klage auf Feststellung erhoben, dass der im Jahr 2021 verstorbene Lebensgefährte Alleinerbe, hilfsweise Miterbe seiner im Jahr 2019 verstorbenen Lebenspartnerin geworden ist. Die Klage stützte der Testamentsvollstrecker auf ein im Jahr 1995 errichtetes handschriftliches Testament der Lebensgefährtin, mit dem sie ihren Lebenspartner als ihren alleinigen Erben eingesetzt hat.

Gemeinschaftliches notarielles Testament

Die Problematik des Falls besteht darin, dass die Lebensgefährtin im Rahmen einer vorherigen Ehe mit ihrem – bereits lange vor seiner Ehefrau verstorbenen – Ehemann im Jahr 1971 ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet hat, in dem die Eheleute sich gegenseitig zu alleinigen, unbeschränkten Erben eingesetzt hatten. Sollte die Ehefrau Überlebende sein, so sollten die beiden Söhne des Ehemanns Schlusserben sein. Einer der beiden Söhne war zum Zeitpunkt des Todes der Ehefrau bereits verstorben.

Bindung durch wechselbezügliche Verfügung?

Das AG hat die Feststellungsklage des Testamentsvollstreckers erstinstanzlich abgewiesen mit der Begründung, die im Jahr 2019 verstorbenen Lebensgefährtin habe sich in dem gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann im Jahre 1971 errichteten notariellen Testament durch eine wechselbezügliche Verfügung gebunden und sei nach dessen Tod nicht mehr berechtigt gewesen, durch Erbeinsetzung ihres Lebensgefährten von dem Alttestament abzuweichen.

Einsetzung der Söhne als Schlusserben

In seinem Hinweisbeschluss wies das OLG darauf hin, dass das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 1971 eine wechselbezügliche Verfügung gemäß § 2270 BGB enthalte. Die Auslegung des Testamentstextes ergebe, dass der damalige Ehemann seine Ehefrau nur im Hinblick darauf als Alleinerbin eingesetzt habe, dass diese seine Söhne als Schlusserben einsetzt, so dass die Söhne, die nach dem Tod des Ehemanns leer ausgehen sollten, nach dem Tod der Ehefrau am Familienvermögen würden teilhaben können.

Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments

Mit dem Tode des Ehemanns ist diese Erbeinsetzung nach Auffassung des OLG gemäß § 2271 Abs. 2, 1. Hs BGB bindend geworden. Daran ändere weder der Hinweis im Testament, dass die Eheleute sich das vorhandene Vermögen gemeinsam erarbeitet hätten, noch führe der frühzeitige Tod eines der Söhne des Ehemanns zu einem anderen Ergebnis.

Gesetzliche Auslegungsregel spricht für Wechselbezüglichkeit

Nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB sei von der Wechselbezüglichkeit zwischen der Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin ihres Ehemannes und der Bestimmung, dass die Söhne des Ehemanns Schlusserben werden sollten, auszugehen. Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB liege eine Wechselbezüglichkeit in der Regel dann vor, wenn

  • einem Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und
  • für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird,
  • die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.

Keine Hinweise auf entgegenstehenden Testierwillen

Diese Auslegungsregel greift nach Auffassung des OLG im vorliegenden Fall ohne weiteres ein. Es seien keine Hinweise zu erkennen, dass die Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 1971 eine bindende Wechselbezüglichkeit nicht gewollt hätten. Der Hinweis auf die gemeinsame Erarbeitung ihres Familienvermögens spreche entgegen der Auffassung des Testamentsvollstreckers nicht gegen die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung, sondern geradezu dafür. Dem Ehemann sei es offensichtlich darauf angekommen, dass seine Söhne nach dem Tod der Ehefrau an dem auch von ihm erarbeiteten Vermögen teilhaben und nicht auf Dauer enterbt sein sollen.

Späteres Testament unwirksam

Nach dem Tod des Ehemanns war nach Auffassung des OLG eine einseitige Änderung durch die überlebende Ehefrau gemäß § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht mehr möglich. Die Regelung in dem handschriftlichen Testament aus dem Jahre 1995 sei damit unwirksam.

Keine Ersatzerbenbestimmung

Auch der frühzeitige Tod eines der Söhne des Erblassers führt nach den Ausführungen des OLG zu keinem anderen Ergebnis. Durch das Versterben des Sohnes sei die wechselbezügliche Verfügung nicht anteilig gegenstandslosgeworden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Eheleute für den Fall des Versterbens einer der Söhne eine Ersatzerbenbestimmung gemäß § 2069 BGB getroffen hätten. Ein Ersatzerbe für den Fall des Todes einer der Söhne sei aber nicht bestimmt worden.

Tod eines Schlusserben führt zur Anwachsung

In Ermangelung einer Ersatzerbenbestimmung greift nach Auffassung des OLG die Vorschrift des § 2094 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach wächst im Fall des Versterbens eines Erben dessen Erbteil den oder dem übrigen Erben anteilig an. Die Wechselbezüglichkeit des ursprünglichen notariellen Testaments umfasse auch den Fall, dass es aufgrund des Versterbens einer der Söhne zur Anwendung der Anwachsungsregel kommt. Anders wäre dies nur dann, wenn sich aus dem Testament Anhaltspunkte ergäben, dass nach dem Willen der Testierenden die Wechselbezüglichkeit den Fall einer Anwachsung nicht umfassen solle. Solche Anhaltspunkte seien aber nicht ersichtlich.

Abweichender Testierwillen nicht feststellbar

Schließlich ergibt sich nach Auffassung des Gerichts auch aus der Interessenlage der Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung, dass die Schlusserbenregelung nicht dadurch entfallen soll, dass einer der Schlusserben infolge Todes ausfällt. Die Schlusserben seien zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Person bekannt gewesen. Die Ersetzung eines der Schlusserben durch eine zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung den Testierenden nicht bekannte Person, nämlich des späteren Lebensgefährten der Ehefrau quasi als Ersatzerben entspreche nicht dem mutmaßlichen Willen der Testierenden zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung.

Berufung erfolglos

Im Ergebnis ging das Gericht daher davon aus, dass die Ehefrau zur Einsetzung ihres späteren Lebensgefährten als Alleinerben durch das im Jahr 1995 errichtete Testament nicht berechtigt war.

(Den Hinweisbeschluss des OLG Oldenburg vom 26.08.2022, Az. 3 U 37/22 können Sie hier nachlesen)

Gestaltungshinweis:

Bei der Gestaltung von Ehegattentestamenten ist stets zu überlegen, inwieweit das Testament den längerlebenden Ehegatten binden soll. Dabei gibt es nicht nur ein Entweder-Oder sondern auch differenzierte Lösungen, die eingeschränkte Bindungswirkungen beinhalten.

Neue Grundstücksbewertung ab 2023 – Handeln erforderlich?

Alle Grundstücksbesitzer, die sich mit dem Gedanken einer vorweggenommenen Erbfolge – also der lebzeitigen Vermögensübertragung an Kinder – beschäftigen, aufgepasst:

Im sog. „Jahressteuergesetz 2022“, das noch in diesem Jahr parlamentarisch beschlossen werden soll, ist vorgesehen, dass Immobilien ab 2023 steuerlich deutlich höher bewertet werden. Das hat Auswirkungen u.a. auf Schenkungs- und Erbschaftssteuern.

So wird die Nutzungsdauer von Immobilien von 70 auf 80 Jahre erhöht und die Minderung des Alterswerts wird geringer, der Wert der Immobilie dadurch höher. Auch wird der Sachwertfaktor künftig je nach Region und Immobilie von 0,9 bis 1,1 auf 1,3 bis 1,5 steigen. Zudem wird ein Regionalfaktor eingeführt, der in Boom-Regionen zu einer weiteren steuerrelevanten Erhöhung des Immobilienwertes führen wird. Außerdem werden beim Ertragswertverfahren Kostenpauschalen geändert und nur noch konkrete Nachweise dafür akzeptiert, was ebenfalls zu einer Werterhöhung führen wird (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 14.11.2022)

Bei beabsichtigter Grundbesitzübertragung auf nahe Angehörige sollte deshalb nunmehr überlegt werden, dies noch im laufenden Kalenderjahr zu beurkunden. Notartermine sind derzeit besonders gefragt. Eile ist geboten ! Auf jeden Fall sollte fachkundiger Rat eingeholt werden.

Aktuell sind von der Politik bereits Vorschläge gemacht worden, die erbschaftssteuerlichen Freibeträge zu erhöhen. Das Thema bleibt spannend, wir werden Sie weiter informieren.

Zur Auslegung von Testamenten bei Lebenspartnern

Die testamentarische Erbeinsetzung eines nicht eingetragenen Lebenspartners beinhaltet nicht zwangsläufig die Vorstellung des Testierenden, dass dies für den Fall einer neuen Beziehung des Partners unter keinen Umständen Bestand haben soll.

Hier vorzustellen ist eine Entscheidung des OLG Oldenburg, die einen Fall betrifft, in dem der testamentarisch eingesetzte Lebenspartner nach der stationären Unterbringung des Testierenden in einem Pflegeheim wegen fortgeschrittener Demenz eine Ehe mit einem neuen Lebenspartner eingegangen ist.

Neuer Ehepartner nach Demenzerkrankung des Erblassers

Der Erblasser hatte im Juni 2005 seinen nicht eingetragenen Lebenspartner sowie seine Tochter aus einer vorherigen Ehe zu Erben eingesetzt. Im Oktober 2016 wurde der Erblasser wegen fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und anschließend in einer Pflegeeinrichtung betreut. Im August 2020 ging der zum Erben eingesetzte Lebenspartner eine Ehe mit einem neuen Lebenspartner ein. Bis zu dessen Tode im Jahr 2021 besuchte der testamentarische Erbe seinen ehemaligen Lebenspartner wöchentlich im Pflegeheim.

Tochter erklärt Anfechtung des Testaments wegen Motivirrtums

Dem Antrag des zum Erben eingesetzten Lebenspartners auf Erteilung eines Erbscheins trat die ebenfalls testamentarisch als Erbin eingesetzte Tochter entgegen. Sie vertrat die Auffassung, bereits die Auslegung des Testaments ergebe, dass der Erblasser den Antragsteller unter der Voraussetzung des Fortbestandes der Lebenspartnerschaft bis zum Tode zum Erben eingesetzt habe. Hilfsweise erklärte die Tochter im Hinblick auf die noch vor dem Tode ihres Vaters erfolgte Eheschließung des Antragstellers die Anfechtung des Testaments wegen Motivirrtums.

Testamentsauslegung spricht nicht gegen Fortgeltung der Erbeinsetzung

Nach Auffassung des OLG Oldenburg ist das Testament des Erblassers aus dem Jahr 2005 nicht dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller nur unter der Bedingung des Fortbestandes der Lebenspartnerschaft bis zum Tode Erbe sein solle. Die Vorstellung einer Lebenspartnerschaft bis zum Tode ergebe sich weder aus dem Text des Testaments noch aus sonstigen Umständen. Jedenfalls habe die Tochter keine Äußerungen des Erblassers oder sonstigen Umstände vorgetragen, aus denen ein entsprechender Wille des Erblassers abgeleitet werden könnte.

Keine wirksame Anfechtung wegen Motivirrtums

Auch die Anfechtung des Testamentes der Tochter wegen Motivirrtums hatte keinen Erfolg. Gemäß § 2078 Abs. 2 BGB setze die Anfechtung wegen Motivirrtums die irrige Annahme oder Erwartung des Erblassers des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands voraus. Dabei sei gleichgültig, ob der Irrtum des Erblassers sich auf die Vergangenheit, Gegenwart oder die Zukunft bezieht (BayObLG, Beschluss v. 4.8.2002, 17 BR 58/02). Insoweit trage die Tochter die Feststellungslast für das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen. Umstände, die auf eine Annahme oder Erwartung des Erblassers an den Fortbestand der Partnerschaft schließen lassen, habe die Tochter aber nicht vorgetragen.

Demenzsituation war nicht Gegenstand der testamentarischen Verfügung

Das OLG Oldenburg gestand der Tochter zu, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments mutmaßlich die Vorstellung hatte, dass er und der Antragsteller eine dauerhafte Lebenspartnerschaft führen würden. Weder der Text des Testaments noch sonstige Umstände belegten jedoch, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits eine Vorstellung über eine mögliche Demenz und eine hierdurch erforderliche Pflegesituation gehabt habe. Auch einPflegemotiv im Sinne einer häuslichen Pflege durch den Lebenspartner sei weder dem Testament noch den Umständen zu entnehmen.

Lebenspartnerschaft endete durch faktische Gegebenheiten

Auch das Partnerschaftsmotiv beinhaltete nach der Bewertung des Senats nicht die Vorstellung des Erblassers über die Auswirkungen einer schweren Demenzerkrankung auf die bisher gelebte Partnerschaft. Bis zur Einweisung des Erblassers in das Pflegeheim hätten der Erblasser und der Antragsteller die Lebenspartnerschaft ohne Einschränkung gelebt. Die Lebenspartnerschaft habe ja nicht durch schuldhaftes Verhalten des Antragstellers geendet, vielmehr habe die Lebenspartnerschaft infolge der schweren Demenzerkrankung faktisch ihr Ende gefunden und sei ohne schuldhafte Anteile einer Seite praktisch nicht mehr lebbar gewesen.

Keine wirksame Testamentsanfechtung

Vor diesem Hintergrund war nach Auffassung des Senats kein Wille des Erblassers dahingehend feststellbar, dass dieser in einem solchen Fall die Erbeinsetzung seines bisherigen Lebenspartners nicht gewollt habe. Die partnerschaftliche Beziehung sei im übrigen auch bis zum Tod nicht komplett beendet gewesen, wie sich an den wöchentlichen Besuchen des Antragstellers im Pflegeheim gezeigt haben. Danach seien im Ergebnis die Voraussetzungen für eine Anfechtung des Testaments gemäß 2078 Abs. 2 BGB nicht gegeben.

Gestaltunghinweis:

In derartigen Fällen, in denen die Erbeinsetzung von bestimmten Erwartungen des Erblassers abhängen sollen, kann sich empfehlen, in das Testament Beweggründe und Motive in das Testament aufzunehmen, um insoweit die Möglichkeit einer angepassten Auslegung zu eröffnen. Zu verlässlichen Ergebnissen mit ggf. erhöhtem Nachweisaufwand im Nachlassverfahren kann eine konkrete Bedingung für eine Erbeinsetzung mit objektiv nachvollziehbaren Kriterien für die Auswahl führen, ohne dass die ErbeinsetzungvomWillen eines Drittenabhängt.

(Der vollständige Beschluss des OLG Oldenburg vom 26.09.2022 zum Aktenzeichen 3 W 55/22 kann hier nachgelesen werden)